Das Werkstück beeinflusst das Ergebnis der Verzahnungsmessung. Das ist eine Binsenweisheit. Schließlich ist jedes Werkstück etwas anders, auch wenn es in Serie auf derselben Maschine gefertigt wird. Könnten wir perfekte Kopien erzeugen, könnten wir uns das Messen sparen.
Also muss etwas anderes gemeint sein. Das Ursache-Wirkung-Diagramm – wegen seiner Form auch „Fischgräten-Diagramm“ genannt – gibt uns Hinweise:

Gehen wir die einzelnen Punkte einmal durch.
Werkstoff
Jeder Werkstoff hat seine spezifischen Eigenschaften. Im Maschinenbau wird häufig Stahl eingesetzt. Die Medizintechnik verwendet viel Glas und Keramik. Im Automobilbau kommen zu Stahl noch Leichtmetalle wie Aluminium und Magnesium hinzu sowie Kunststoffe zur Anwendung.
Die Temperatur wirkt sich auf das Messergebnis aus (siehe …). Keramik ist sehr temperaturstabil ist. Kunststoff hat einen sehr großen Längenausdehnungskoeffizienten (s. Einfluss der Umgebung: Temperatur). Er ist mehr als viermal so groß wie der von Stahl.
Bei manchen Kunststoffen (z.B. Polyamid) kommt hinzu, dass sie aufquellen, wenn sie Feuchtigkeit aufnehmen. Dies geschieht bereits unter normalen Umgebungsbedingungen – über die Luftfeuchtigkeit.
Die taktile (= berührende) Messung kann problematisch sein bei weichen Werkstoffen. Optische (= berührungslose) Messungen sind problematisch bei spiegelnden Oberflächen.
Oberflächenbeschaffenheit
Die Oberflächenbeschaffenheit hat viel mit dem Fertigungsverfahren zu tun. Bei der spanenden Bearbeitung können Vorschubmarken, ein Fertigungsgrat oder Schmutz die Messergebnisse deutlich beeinflussen. Guß oder 3D-Druck führt häufig zu sehr rauen Oberflächen.

Diese können nicht nur das Messergebnis beeinflussen. Sie können die Messung stören, so dass z.B. eine scannende Messung kaum möglich ist. Ist dies der Fall, muss man versuchen, die Messparameter zu variieren: Den Tastkugeldurchmesser so groß wie möglich wählen. Die Messgeschwindigkeit erhöhen. Die Messkraft reduzieren.
Im schlechtesten Fall führt die raue Oberfläche dazu, zu starken Abnutzungen am Tastelement (Rubinkugel) führt. Dies ist sehr kritisch, da sich die Messergebnisse unbemerkt verändern aufgrund der Abnutzung. Am besten wählt man eine härteres Material für die Tastkugel, z.B. Zirkoniumdioxid (= Keramik). Oder man wechselt von einem taktilen zu einem berührungslosen Messverfahren.

Ein ähnliches Problem entsteht bei der scannenden Messung von Aluminiumbauteilen mit einer Tastkugel aus Rubin. Rubin reagiert mit Aluminium. Das Aluminium lagert sich an dem Rubin an und es entsteht eine Abnutzung durch anhaften des Aluminiums („adhesive wear“). In diesem Fall verwendet man Tastkugeln aus Siliziumnitrid, das nicht mit Aluminium reagiert (siehe: Info von Renishaw).
Formabweichung
Je nach Fertigungszustand (z.B. Weichbearbeitung vs. Hartbearbeitung) können die Formabweichungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Natürlich wirken sich diese Abweichungen auf das Ergebnis aus.

Um ein zuverlässiges Ergebnis der Verzahnungsmessung zu bekommen ist die Wahl der geeigneten Messstrategie wichtig. Die Auswertung einer Bohrung als Gauß-Zylinder liefert bei größeren Formabweichungen ein stabileres Messergebnis als die Auswertung nach Hüll- oder Pferchzylinder.
Masse
Dieser Punkt ist nur bei großen und schweren Bauteilen von Bedeutung. Solche Bauteile können sich aufgrund ihres Eigengewichtes verformen. Stellen wir uns ein Hohlrad mit einem Außendurchmesser von vier Metern vor, dass z.B. in einem Windrad eingesetzt wird. Das Hohlrad wird zur Verzahnungsmessung mittels eines Kranes auf dem Koordinatenmessgerät (= KMG) platziert. Es wurde über drei Ösen mit Lasthaken und einem Kettengehänge am Kran befestigt.

Würde man das Hohlrad direkt nach dem Absetzen auf dem KMG messen, würde die Verzahnungsmessung größere Abweichungen z.B. in der Flankenlinie dokumentieren. Ursache für diese Abweichungen ist die Verformung der Verzahnung aufgrund ihres Eigengewichtes. Wichtig ist in diesem Fall, dem Zahnrad ausreichend Zeit geben, damit es sich wieder „setzen“ kann und die o.g. Verformungen sich wieder zurückbilden.
Zugänglichkeit
Das Messergebnis kann auch von der Zugänglichkeit abhängen. Die Geometrie des Bauteils kann zu unterschiedlichen Problemen führen. Sehr kleine Bauteile sind zum einen schwierig festzuspannen. Im Zweifelsfall müssen sie aufgeklebt werden. Zum anderen ist bei der taktilen Messtechnik der Tastkugeldurchmesser ein begrenzender Faktor.

Die Bauteilgeometrie kann eine komplexe Tasterkonfiguration notwendig machen. Für die Verzahnungsmessung eines schrägverzahnten Hohlrades ist z.B. ein abgewinkelter Tasteraufbau notwendig. Je größer die Zahnbreite, umso länger muss der Taster gewählt werden. Ein komplexer Tasteraufbau, erhöht die Messunsicherheit. Die Grundregel lautet, möglichst kurze und stabile Tasterkonfigurationen verwenden.

Fazit
Das Werkstück kann das Messergebnis auf vielfältige Weise beeinflussen. Wichtig ist, dass man sich dessen bewusst ist und entsprechende Maßnahmen ergreift, um diese Einflüsse so gering wie möglich zu halten.
Das sind Basics wie die visuelle Kontrolle des Werkstücks auf Beschädigungen, Grat und Schmutz und gegebenenfalls die Reinigung. Werkstücke direkt aus der Fertigung müssen zunächst abkühlen.
Die Wahl geeigneter Messmittel (ist eine Rubinkugel geeignet?), Messmethode (optisch oder taktil) und Auswertemethode (Gauß oder Hüll/Pferch).
Spannvorrichtungen, die die Zugänglichkeit gewährleisten und das Werkstück nicht verformen.
Möglichst einfachen und stabilen Tasteraufbau wählen.