
Da die Temperatur einen so bedeutenden Einfluss auf das Messergebnis hat, widme ich ihr einen zweiten Teil.
Wer den ersten Teil (Einfluss der Umgebung: Temperatur) noch nicht gelesen hat, fängt am besten damit an.
Abweichung zur Bezugstemperatur
Im ersten Teil zur Temperatur haben wir die Bedeutung der Bezugstemperatur (20°C) herausgestellt. Diese löst das Problem der Ausdehnung aufgrund von Erwärmung oder Abkühlung. Das heißt, wir dürfen unter keinen Umständen von diesen 20°C abweichen. Die Realität sieht anders aus – und dafür gibt es gute Gründe.
20°C können teuer sein
Die Klimatisierung eines Raumes kostet Energie. Der Energiebedarf hängt ab von der Größe des Raumes und von der zu überbrückenden Temperaturdifferenz (Temperatureinflüsse vs. Zieltemperatur). Als Temperatureinflüsse ist alles anzusehen, das den Raum davon abhält, auf seiner Zieltemperatur zu bleiben: Außentemperatur, Wärmestrahlung wie Sonneneinstrahlung, Werkstücktemperatur, Körpertemperatur der Menschen.
Da die Klimaanlage das ganze Jahr über laufen muss, macht es sich bei den Energiekosten deutlich bemerkbar, ob man 20°C oder z.B. 22°C als Zieltemperatur wählt.

20°C können kalt sein
Man glaubt es kaum, aber 20°C können kalt sein.
Wenn du mal einen ganzen Tag im Messraum bei 20°C gearbeitet hast, weißt du, was ich meine. Du erkennst den erfahrenen Messtechniker an seinem Pullover bzw. seiner Fleecejacke.
Zuerst freut man sich über die Klimatisierung. Mit der Zeit empfindet man die 20°C jedoch als unangenehm, deshalb die Jacke. Diese Empfindung birgt ein weiteres Problem: Wenn man sich unwohl fühlt mit den Umgebungsbedingungen (Temperatur, Beleuchtung, Lärm usw.), dann stört das die Konzentration. Der Messtechniker macht Fehler. Das wirkt sich negativ auf die Messergebnisse aus.

Lösung: höhere Zieltemperatur
Selbst wenn die Energiekosten keine Rolle spielen, sollte man die Wirkung auf den Messtechniker nicht vernachlässigen. Deshalb ist es gängige Praxis, die Temperatur auf 21° – 22°C zu erhöhen. Beides wirkt sich positiv auf die beiden genannten Probleme aus.
Jetzt liegen wir aber 2° oberhalb der Bezugstemperatur. Das wirkt sich doch wieder negativ auf das Messergebnis aus. Auch dafür gibt es eine Lösung: Temperaturkompensation des Koordinatenmessgerätes (kurz: KMG).
Temperaturkompensation des KMG
Den KMG-Herstellern ist die o.g. Problematik bewusst. Deshalb verfügt jedes moderne KMG über eine eigene Temperaturkompensation.

Was ist das?
Bei der Temperaturkompensation wird eine temperaturbedingte Ausdehnung von Messgerät und Werkstück rechnerisch auf die Bezugstemperatur korrigiert.
Wie funktioniert das?
Wir wissen, dass die temperaturbedingte Ausdehnung von der Temperatur und vom Material abhängt. Das KMG hat mehrere Temperatursensoren eingebaut, um die Temperatur an verschiedenen Stellen im Messgerät zu erfassen. Außerdem sind die Materialen und der Aufbau bekannt. So kann durch einen entsprechenden Algorithmus die Ausdehnung des Messgerätes berechnet und korrigiert werden.
Das KMG hat zusätzliche Temperaturfühler, die am Werkstück angebracht werden können. Damit wird die Temperatur des Werkstücks erfasst. In der KMG-Software muss noch der Ausdehnungskoeffizient für das Werkstück angegeben werden. Entweder gibt man den Koeffizienten manuell ein oder kann aus einer Liste das Material auswählen. Mit diesen Informationen kann die Temperaturkompensation auch die Ausdehnung des Werkstücks erfassen und das Messergebnis rechnerisch auf 20°C korrigieren.
Theoretisch kann man dadurch das KMG sogar direkt in die Fertigung stellen und bekommt trotz höherer Temperaturen genaue Ergebnisse. Hier ist aber Vorsicht geboten. Man muss abwägen zwischen den Anforderungen an die Genauigkeit und den herrschenden Umgebungsbedingungen.
Die Temperaturkompensation funktioniert gut, wenn die Temperatur stabil ist. Sobald die Temperatur stärker schwankt, wird es problematisch.
Fazit
Die Bezugstemperatur ist ein gutes Mittel, um die Auswirkungen der Längenausdehnung in den Griff zu bekommen. Ein Abweichen von der Bezugstemperatur ist möglich, wenn das Messgerät über eine Temperaturkompensation verfügt. Eine etwas erhöhte Temperatur im Messraum kann aus wirtschaftlichen und messtechnischen Gesichtspunkten sogar sinnvoll sein.